online design

Über Kant zur sprachkritischen Wende der Philosophie

„Denn man muss diesen Thatbestand erst interpretiren: an sich steht er da dumm in alle Ewigkeit, wie jedes ,Ding an sich‘.“ (Friedrich Nietzsche, Zur Genealogie der Moral) Um den Fragen nachzugehen, was Philosophie sein kann, warum uns das interessieren sollte und was das Ganze mit Marketing zu tun hat, müssen wir noch einen kleinen Zwischenstopp einlegen, um die Züge moderner Philosophie vorzubereiten. Genauer heißt das: Kant. Ich hatte zwar versprochen, die alten Schinken beiseitezulassen, aber schließlich war 2024 Kantjahr und es geht auch schnell: Vor 300 Jahren kommt der wohl einflussreichste Denker der abendländischen Philosophie auf die Welt. Dann dauert es allerdings nochmal über 50 Jahre, bis er mit der Kritik der reinen Vernunft die moderne Philosophie einläutet. Die KrV ist ein reichlich kompliziertes Buch, für das man viel Zeit und gute Gründe mitbringen sollte; Spaß macht das nicht wirklich. Das stellten schon die Zeitgenossen Kants fest und er musste erst noch ein weiteres Buch zur Einführung und eine zweite überarbeitete Auflage (immer noch schwierig) verfassen, ehe jemand was damit anfangen konnte und er zum Superstar der Philosophie wurde. Was uns an der KrV interessiert, ist die Einsicht der Begrenztheit menschlicher Erkenntnisfähigkeit. Kant stellt nämlich fest, dass die bedauerlicherweise gar nicht geeignet ist, die traditionellen philosophischen Fragen der Metaphysik (das heißt etwa: „jenseits der Physik“, ein klassisches philosophisches Kerngeschäft) nach den letzten Gründen und Prinzipien, dem Ursprung der Welt, Gott usw. positiv beantworten zu können, #douglasadams42 (diese Fragen und die Möglichkeit ihrer Antwort werden damit allerdings nicht aufhören). Das ist schade, aber wohl nicht zu ändern. Konkreter (und in unserem Sinn) lässt sich die erkenntnistheoretische Kritik an einem (vielzitierten) Satz 02 ÜBER KANT ZUR SPRACHKRITISCHEN WENDE DER PHILOSOPHIE Kants zusammenfassen: „Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind.“ Der erste Teilsatz sagt in etwa, dass Formen Inhalte brauchen, um Sinn zu ergeben. Im Beispiel: Ein Wort, dessen Bedeutung man nicht kennt, ergibt keinen Sinn, sondern bleibt eine leere Zeichenfolge. So weit, so gut. Die Notwendigkeit des Begriffs für die Anschauung im zweiten Teilsatz richtet sich dann auf den Erkenntnisprozess: Was wir erkennen, sind nicht die Dinge an sich, sondern durch die Struktur unserer Anschauung (Raum/Zeit, Kausalität) schematisch konstruierte Objekte und deren Gesetzmäßigkeit. Man könnte sagen, was unser Hirn daraus macht, wenn wir etwas wahrnehmen. Kant nennt das Ding an sich auch das transzendentale Objekt. In der KrV klingt das so: „Dieses transzendentale Objekt läßt sich gar nicht von den sinnlichen Datis absondern, weil alsdann nichts übrig bleibt, wodurch es gedacht würde. Es ist also kein Gegenstand Erkenntnis an sich selbst, sondern nur die Vorstellung der Erscheinungen, unter dem Begriffe eines Gegenstandes überhaupt, der durch das Mannigfaltige derselben bestimmbar ist.“

Das ist tatsächlich ein starkes Stück, wenn die Bedeutung erst einer formalen (Re-)Konstruktion folgt, „die Gegenstände sich nach unserer Erfahrung richten“, so Kant, denn damit verschiebt sich alles (philosophisch könnte man das ontologisch fassen; Ontologie, die Lehre vom Sein und Seienden, von ontos/Sein und logos/Lehre, aber auch Vernunft/ Rede, da steckt auch die Logik drin: d. h., die -logie (Lehre) verschiebt sich grundlegend): Die Dinge, das Wirkliche oder Wahre sind nicht als solche positiv auffindbar, sondern selbst (als Erkennbares) konstruiert – von demjenigen, der erkennt. Und das betrifft nicht nur die Philosophie, sondern genauso die Naturwissenschaften. Deren Positivität ist nicht die Wirklichkeit, das vergisst man gerne einmal. Wenn z. B. die Physik etwas beschreibt, dann in einem positiven Modell der Wirklichkeit. Und diese Beschreibung unterliegt gleichermaßen den erkenntnistheoretischen Problemen, die Kant formuliert. Um von hier aus meinen anvisierten Schritt ins 20. Jh. zu gehen, ist es hilfreich, diese als Problem der Übersetzung zu fassen. Ein gutes Beispiel dafür, über das fast jeder wahrscheinlich schon einmal nachgedacht hat, ist das Phänomen des Farbensehens: Von Farbenblindheit abgesehen, wir sind uns in der Regel darüber einig, welche Farbe ein Objekt hat, das wir sehen: dass das DZ BANK Logo blau-orange ist z. B. Was wir nicht wissen – und dafür scheint eine empirische „Messbarkeit“ unmöglich, ist, ob das Blau im subjektiven Bewusstseinseindruck des anderen überhaupt die gleiche Farbe ist, die ich sehe. Vielleicht entspricht sein Blau ja auch meinem Grün? Hier kommen verschiedene interessante Aspekte zusammen, zum einen, dass Sprache in Ebenen hierarchisiert ist: Die Übersetzung des sinnlichen blauen Dings ins Objekt Blau und dessen Begriff, d. h. über die physikalische Messung elektromagnetischer Wellenlängen und Theorie der spektralen Verteilung, der Farbwahrnehmung, der Verarbeitung in Auge und Gehirn usw. Ein wesentliches Problem: Bei jeder Übersetzung (in Sprache und dann weiter in Metasprachen, die über ihre Objektsprache sprechen usw.) transformiert sich das (jeweilige) Objekt grundlegend: Messdaten werden mathematische Zeichen, werden Formeln, werden Aufsätze, die sie erklären, werden Wörterbucheinträge usw. Die ständige Transformation des Objekts lässt sich nicht verhindern und liegt einfach daran, dass Sprache mit dem, über das sie spricht, nicht identisch ist; sie ist eben eine Übersetzung von etwas anderem. Zum anderen zeigt das Farbbeispiel sehr deutlich die (soziale) Funktion der Sprache. Der sprachliche Konsens Blau überlagert funktional nahezu vollständig den zweifelhaften Raum von Ding und Sinneswahrnehmung. Man könnte überspitzt zusammenfassen: Die Realität unserer Lebenswelt ist wesentlich sprachlich bzw. für unsere soziale Lebenspraxis ist eine Realität hinter der sprachlichen Rekonstruktion irrelevant. In diesem Sinn ermöglicht Kant mit seiner „Kopernikanischen Wende“ die poststrukturalistische Theorie in der zweiten Hälfte des 20. Jh.s. Diese werden wir uns in der kommenden Ausgabe genauer anschauen. So viel an dieser Stelle: Der Poststrukturalismus überspitzt die erkenntnistheoretische Wende als sprachkritische – erst Sprache transformiert die Welt in konkrete Bedeutungszusammenhänge, d. h., die Voraussetzungen und Grenzen des Erkennbaren sind sprachlich strukturiert. In Konsequenz werden dann die diskursiven Regeln der Sprache selbst zum Gegenstand der Philosophie

Dr. phil. Konstantin Hauck,
online design